Von Professor Fritzler, Frankfurt
I.
1.
Die Herkunft des bayrischen Volks hat die seltsamsten Erklärungen
gefunden. Für die “gesicherste” davon gilt die sogenannte
Markomannenlehre, die vor rund 90 Jahren von Zeuß begründet wurde.
Danach sind die Bayern die ehemaligen Markomannen, die gegen Ende des 5. oder
Anfang des 6. Jahrhunderts von Böhmen nach Bayern gekommen seien, und sich
hier den neuen Namen “Baywaren” beigelegt haben sollen, sich damit als die Leute
bezeichnend, die “in Bayheim waren”. Aber einmal weiß die Geschichte
nicht das geringste von einer solchen Wanderung der Markomannen. Sodann aber
ist die Namengebung keine Modesache, die von einem Jahr zum andern wechselt.
Der Name eines Volks ist dessen Sinnbild, sein heiligstes und höchstes
Gut. Wohl führen Völker neben ihrem Volksnamen zuweilen auch noch den
besonderen Namen ihres Landes, das sie bewohnen. Wenn der letztere Name mit der
Zeit zum Ausdruck eines neuen Volkstums wird, das aus der Verschmelzung der
verschiedenen Völker und Stämme des betreffenden Landes entstand, so
kann er auch zum Gesamtnamen des neuen Volksganzen werden. Daß aber ein
Volk seinen Namen deswegen allein aufgeben soll, weil es seinen Wohnsitz
wechselte, und daß es dabei nicht den Namen des neuen Wohnsitzes, sondern
des verlassenen annehmen soll, ist ein Unding. Dazu ist in diesem Fall die
Namensform Baywaren als Bay-waren, d.h. Bayheim-waren auch noch ein
sprachliches Unding. Aber dergleichen Lehren schleppen sich noch mehr durch die
Jahrhunderte der Geschichte.
2.
Die Ratlosigkeit in dieser Frage kommt daher, daß die römischen und
griechischen Geschichtsquellen nichts von den Bayern zu künden wissen.
Für die Geschichtswissenschaft ist das kein allzu großer
Verlußt. Zwar haben die Römer und Griechen mancherlei Kenntnisse von
der damaligen Völkerwelt. Diese Kenntnisse sind aber, soweit wenigstens
der Norden und Osten in Frage kommt, sehr dürftig und verworren. Wahres
und Falsches, Wirkliches und Dichterisches ist noch in einem viel höheren
Maß durcheinandergeworfen, als dies bei uns der Fall ist. Das
Bemühen der Wissenschaft, auf diesen römischen und griechischen
Nachrichten eine Stammeskunde aufzubauen, hat zu dem bestehenden Wirrwarr
geführt.
Die
Grundlage für die Stammeskunde eines Volks kann nur die eigene
Überlieferung des betreffenden Volks bilden, die begreiflicherweise am
besten unterrichtet ist. Und da hat grade der bayrische Volksstamm, der als
jüngster in die Reihe der deutschen Volksstämme eintritt, die
reichste Überlieferung erhalten, die von dem großen bayrischen
Geschichtsschreiber Aventin im 16. Jahrhundert gesammelt wurde. Er hat dabei
einen unermüdlichen Eifer entwickelt, der zur Bewunderung zwingt. Als
bayrischer Hofgeschichtsschreiber hatte er Zutritt zu allen Buchkammern in
Kirchen und Klöstern, die er alle gewissenhaft durchstöbert hat nach
alten Büchern, Schriften und Briefen. Dazu hat er alte Reime, Lieder,
Gebete, Sprüche u.dgl. gesammelt, die noch im
Volksmund lebten. “Ich habe — sagt er — nach meinem ganzen Vermögen
gearbeitet, Tag und Nacht keine Ruhe gehabt, viel Hitze und Kälte,
Schweiß und Staub und Schnee winters und sommers erlitten, das ganze
Bayerland durchschritten, alle Stifte und Klöster durchfahren,
Buchkammern, Kästen fleißig durchsucht, allerlei Handschriften, alte
Freiheiten, Übergaben, Briefe, Chroniken, Rufe, Reime, Sprüche,
Lieder, Abenteuer, Gesänge, Betbücher, Meßbücher,
Salbücher, Kalender, Totenzettel, Register der Heiligen Leben durchgelesen
und abgeschrieben, Heiligtümer, Monstranzen, Säulen, Bildnisse,
Kreuze, alte Steine, alte Münzen, Gräber, Gemälde, Gewölbe,
Estriche, Kirchen, Überschriften besucht und besichtigt, geistlich und
weltlich Recht, lateinische, deutsche, griechische, windische, ungarische,
welsche, französische, dänische, englische Geschichte überlesen
und durchfragt, nichts zu solcher Sache Taugliches unterwege und ununtersucht
gelassen, allerlei alter Geschichte Zeugnis und Anzeigen durchstöbert,
alle Winkel durchschlüpft und durchsucht. Wo gewisse Anzeigen, wie jetzt
gemeldet, nicht vorhanden gewesen, der Sache des gemeinen Mannes und gemeinem
Gerücht nachgefolgt, doch davon geschieden dasjenige, so mehr
unergründlichen Torheiten, Gedichten, Märlein, denn gegründeter
Wahrheit gemäß war.” Alles dieses hat er dann in seinen beiden
Schriften, der Bayrischen und Deutschen Chronik, verarbeitet.
3.
Nach bayrischer Überlieferung war Armenien die Heimat der Bayern. Es ist
dies eine ganz a l l g e m e i n e Überlieferung, die Armenien
ausdrücklich als Heimat der Bayern bezeichnet. Nach Armenien aber waren
die Bayern von noch weither gekommen. In alten Reimen, Meistersängen und
Chroniken “wird angezeigt: wie die Bayern etwa dieselbigen Länder alle bis
an Armenien und Indien durchzogen, allda auch eine Zeitlang gehaust haben.” In
einer Pergamentrolle, die Aventin im Benediktinerkloster zu Nieder-Altaich
fand, waren Gesänge und Lieder “nach alter Weis und Art” verzeichnet, die
von einem alten deutschen Helden erzählen mit Namen Baiger oder Boiger,
der aus Armenien und Skythien, das an Indien stößt, an die Donau
gekommen sei und alle Länder um die Donau eingenommen habe. Eine andere
alte Pergamentrolle, die er in der Buchkammer des Domstifts zu Regensburg
entdeckte, enthielt eine kurze Beschreibung von dem Herkommen der Bayern “in
einem viel besseren Latein, als viele hundert Jahre in Brauch gewesen ist.
Wer’s beschrieben hat, nennt sich nicht, oder ist aus Unfleiß, wie viel
mehr geschehen ist, der Name verloren worden. Dieser sagt: wie die Bayern zogen
bis gen Aufgang der Sonne in Asien an Armenien und Indien durch die
Länder, so man jetzt Tartarei nennt”.
Dazu
stimmen auch alle anderen Nachrichten. In einer alten Handschrift des Klosters
Melk heißt’s an einer Stelle: die Noriker, oder Bayern, seinen aus der
Gegend um Armenien gekommen. In einem Leipziger Urkundenbuch findet sich ein
Abschnitt über “Herzog Poymont und seinen Bruder Ingram, die aus Armenien
kamen”. Dasselbe berichtet auch die Kaiserchronik: die Herzöge der Bayern,
Boemunt und Ingram, hätten sie aus Armenien geführt. Eine gleiche
Angabe machen Heinrich von München und Michael Beheim. In eines
Unbekannten Chronik von Bayern, in einer Handschrift des Klosters Emmeran, in
der bayrischen Chronik von Fuetrer, im großen Stammbaum der bayrischen
Fürsten heißt es von dem Fürsten Bavarus, daß er aus
Armenien gekommen sei. Ebenso nennen Andreas Ratisbonensis, Vitus Arnpeckh,
Thritem und Rumpler Armenien die Urheimat der Bayern, woher sie von ihren
Fürsten, Boamundus und Ingramus, nach Bayern geführt wurden. Froumund
von Tegernsee, der im 10. Jahrhundert über die Herkunft der Noriker, d.h.
der Bayern, schrieb, weiß zu berichten, daß die Heimat der Bayern
die Gegend im äußersten Osten um Armenien gewesen sei, wie er das
von zuverlässigen Leuten vernommen habe, die dort waren und die b a y r i s c h e Sprache dort gehört haben. Genau dasselbe bestätigt der
Benediktinermönch Bernhard von Kremsmünster, der um 1300 eine
Geschichte der Bayern verfaßte. “Von Aufgang sind die Bayern heraus an
die Donau gekommen, von welchen nachmals
d i e a n d e r n d i e
d e u t s c h e S p r a c h
e gelernt und empfangen haben. Wie denn
zu hinderst gegen Aufgang um Armenien und Indien noch derselben Ursprung ist,
welches ich von Glaubwürdigen gehört, die dort hingewandert sind
und b a y r i s c h reden gehört haben.” Aus Armenien wurde
das bayrische Volk geführt von seinen Fürsten Boemund und Ingram.
Dahin kam das Volk spätestens Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr., wie
seine Erinnerungen an die Könige von Medien und Persien, Astyages und
Kyros, beweisen. Von da zog es bald nach 100 v. Chr. aus, von den
vorrückenden Römern verdrängt. Einerseits gelten Boemund und
Ingram für Zeitgenossen Caesars. Andererseits traf Pompejus, der Armenien
unter römische Oberhoheit brachte, sie schon nicht mehr an. Einer
Nachricht zufolge, die Thritem überliefert, sollen die Bayern von Tiberius
vertrieben worden sein. Das kann sehr wohl stimmen. Nur daß sie damals
ihr Stammland schon geräumt und sich weiter nördlich an den
Südhängen des kaukasichen Gebirgszugs niedergelassen hatten, von wo
sie unter dem Nachdrängen der Römer über den Gebirgszug
hinüber auf die Nordseite zurückwichen.
“Nach
gründlicher Erforschung der alten Schriften und Buchkammern des ganzen
Beyerlandes” konnte Aventin feststellen: “daß die Bayern von König
Alman Aergle und seinen Söhnen Norein und Boiger herkommen.” Und er
fügt erläuternd hinzu: “diesen König Alman oder deutschen
Herkules haben unsere Vorväter für einen Gott und Verwalter der
Kriegsläufe aufgeworfen, in den Himmel gesetzt und angebetet”. Sein
Bildnis, aus Kupfer gegossen, soll noch vorhanden und von der Reichenau gen
Tirol auf Betreiben und Befehl Kaiser Maximilians geführt worden sein.
“Wenn sie sich mit den Feinden haben schlagen wollen, haben sie ihn angerufen,
etliche Lieder von ihm gesungen und eine besondere Manier in seinen Ehren
gehabt mit dem Lärmen, Umschlagen und Sturm. Haben sie das ,barrit’
geheißen, davon man noch ,der Bar laufen’ ein Spiel heißt und
nennt”. Im besonderen führt Aventin jene Handschrift des Domstifts zu Regensburg
an, deren unbekannter Verfasser sagt “wie die Bayern von Herkules hier sind und
Alemannen geheißen haben, von denen alle anderen also genannt werden”.
Die
Zugehörigkeit der Bayern zu den Alamanen wird im besonderen durch die
Rechtsverfassung der beiden Völker erwiesen. Es ist nicht bloß eine
Ähnlichkeit, sondern eine Gleichheit beider Volksrechte. Um nur einiges
kurz anzudeuten. Beide Volksrechte kennen nur drei Stände: Adel, Freie und
Knechte. Beide haben den Richter, der zugleich Urteilfinder ist; dasselbe
Zeichen des Besitzergreifens: den Hammer- und Axtwurf; dasselbe
Rechtsverfahren, dasselbe Bußsystem. Dazu haben beide ein völlig
gleiches Familienrecht. Diese Besonderheiten, die nur den beiden Volksrechten
eigentümlich sind, stellen ihren inneren Zusammenhang außer allen
Zweifel.
Über
die Sprache, die die almanischen Bayern gesprochen haben, weiß die
bayrische Überlieferung noch soviel anzugeben, daß es kein Deutsch
war. Von dem almanisch-bayrischen Schrifttum ist leider nichts
übriggeblieben. Noch zu Aventins Zeiten waren beim Adel Reime im Gebrauch,
die aber keine ganzen Wörter, sondern öfter nur etliche Buchstaben
darstellten, wie er sagt. Das heißt doch: daß sie in einer
unverständlichen Sprache abgefaßt waren. Es hat sogar ganze
Bücher gegeben, die aber niemand lesen konnte.
Und er selbst hat ein solches Buch zu Preifling in einem Kloster bei Regensburg
gesehen. Froumund von Tegernsee und Bernhard von Kremsmünster berichten
beide übereinstimmend: daß noch zu ihrer Zeit, also im 10. bis gegen
Ende des 13. Jahrhunderts in der Gegend “um Armenien” die echte b a y r i s c h e Sprache gesprochen wurde, wie sie das von solchen gehört
haben, die selber dort waren. Und in einer Passauer Chronik des 10.
Jahrhunderts heißt es deutlich: daß die Bayern zuvor ihre besondere
Sprache hatten, nachher aber von den Deutschen das Deutsche angenommen haben.
Panzer hat in seinen “bayrischen Sagen und Bräuchen” alte Reime
aufbewahrt, die noch im vorigen Jahrhundert in Bayern gesungen wurden. Wo diese
Reime eine verständliche Rede darstellen, verraten sie deutlich: daß
sie eine Übertragung aus einer anderen Sprache ins Deutsche sind, wobei
der bloße Anklang des ursprünglichen Wortlauts an dieses oder jenes
deutsche Wort maßgebend war: so zusammenhanglos und ratlos ist das. Wo
eine solche Übertragung nicht geschehen ist, haben wir einen Wortlaut vor
uns, der völlig unverständlich ist. Vor allem aber ist die
altbayrische Rechtssprache eine Sprache für sich, die ein ganz einziges
Sprachgut darstellt. Ausdrücke, wie carmula, lidiscarti, uuinchilsul,
uanchtodal, bilmez, etorkartes, calasneo und eine Menge andrer, sind einfach
unverständlich. Diese Wörter auf “germanische” oder “keltische”
Wurzeln zurückzuführen, hat sich als völlig unmöglich
erwiesen.
4. Vollen Aufschluß gibt aber der Stammesname der Bayern. Dieser
hat im Lauf der Zeiten verschiedene Wandlungen erfahren. Alle diese
verschiedenen Formen gehen zurück auf die zwei Grundformen bougar oder
baugar, von denen die letztere noch erhalten ist. Wie Weiterbildungen zeigen,
konnten sie auch pougar oder paugar, poucar oder paucar lauten. Die
Weiterbildungen entstehen zunächst dadurch, daß der Hintergaumenlaut
g oder c bei hoher Sprechlage der Zunge ein Abglitt-u oder -o erhält,
was zu den Formen bouguar, bougoar, pougoar, bauguar, baucuar oder baugoar
führt. Schriftlich belegt sind davon die letzteren drei in bauguarii,
baucueri und baugoarii. Wird nun das so entstandene u oder o mit scharfer
Lippenrundung gesprochen, so führt dies zu einem weiteren Abglitt-w: bouguvar, bougovar, bauguvar oder
baugovar. Zu einer weiteren Reihe von Formen kommt es dadurch, daß der
Zweilaut ou oder au einerseits infolge beharrender
Angleichung zu oo = o oder aa = a wird: bogar,
boguar, bogoar, pogoar, boguvar oder bagar, pagar, baguar, bagoar, pagoar oder
baguvar. Andererseits wandelt der Zweilaut ou
oder au vor einem g oder c als Vordergaumenlaut bei vorgreifender Angleichung zu oü, aü und weiter zu oi
und ai oder ei: boigar, baigar, paigar, peigar, baicar oder paicar. Dazu kommt
dann noch die Wandlung des g, das
zunächst zum Engelaut gh wird,
der seinerseits wieder nach zwei entgegengesetzten Richtungen hin wandeln kann.
Und zwar wird er einerseits zum Kehlkopflaut h, der infolge beharrender Angleichung mit dem vorangehenden o in eins verschmilzt. So wird bogar zu
boghar, bohar und booar = boar, welch letztere Form die volkstümliche in
Bayern ist. Andererseits wird der Engelaut gh
zum Vordergaumenlaut j und weiter zu
i, womit bogoar zu bioioar wird,
bagoar zu baioar, baguar zu baiuar, bagovar und baguvar zu baiovar und baauvar
oder, mit Angleichung des u an das
nachfolgende v, baivar, bogar zu
boiar, bagar zu baiar oder beiar, baigar zu baiiar oder bayar oder beyar.
Schließlich führt der Wandel von a zu e oder i in der Endsilbe von den Formen
baigar, paigar oder peigar zu baigir, paigir oder peigir, von den Formen peiar,
beiar, baiar oder bayar zu peier, beier, baier und bayer.
Die
beiden Grundformen bougar und baugar stellen aber nicht die älteste
Gestalt dar. Die erstere bougar liegt im altfranzösischen bougre vor, wo
sie aus dem fremden Namen bolgar entstand, indem das l, als
Hinterzungenlaut am Hintergaumen gebildet, zu u wandelte. Dasselbe ist auch im Deutschen geschehen, so daß
die ursprüngliche Gestalt nicht bougar oder baugar, sondern bolgar oder
balgar ist. Die letztere Form wird denn auch tatsächlich bezeugt durch den
Namen des bayrischen Königs Balger. Das heißt, daß der
bayrische Stammesname in seiner ursprünglichen Gestalt zusammenfällt
mit dem Namen der Bulgaren. Aber nicht nur in seiner ursprünglichsten
Form. Auch der bulgarische Volksname weist Nebenformen auf. So lautet er im
Mund mazedonischer Bulgaren unter anderem auch bogar-in oder bugar-in. Und in
Rumänien, wo der bulgarische Volksname mit dem Untergange der ehemals
herrschenden bulgarischen Volksschicht im Rumänentum zum Standesnamen des
Adels geworden ist, lautet er boiar. Haben aber Bayern und Bulgaren
ursprünglich den gleichen Namen, so liegt hier entweder nur ein
merkwürdiger Zufall oder eine Gemeinsamkeit der Abstammung vor.
II.
Bei
einsilbigen Namen ist zufälliges Zusammenfallen schon leicht möglich.
Bei zwiesilbigen schon schwer. Bei drei- und viersilbigen aber ist ein solches
Zusammenfallen so gut wie ausgeschlossen. Indes gibt es noch andere Beweise
für die ursprünglicze Zusammengehörigkeit der beiden
Völker.
1.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst kurz das Schicksal des Gesamtvolks.
In
seiner Heimat, in Armenien, war es dem Volk allmählich zu eng geworden.
Die bayrische Überlieferung weiß noch von allerlei Heereszügen,
die von ihm unternommen wurden. Nach Aventins Berechnung geschah es schon um
225 v. Chr., daß eine Abteilung des bulgarischen Volks, die zum
bayrischen Stamm gehörte, sich von diesem lostrennte und davonzog.
König Thessel und sein Vetter Balger schickten “etlich Volk (mit Namen
Bulgarn, wie die deutschen bayrischen Chroniken sagen) aus, sind ins Land,
jetzt Frankreich genannt, gezogen, haben die Stadt Toles erbaut, und sich allda
niedergetan”. Das wird noch durch eine andere Nachricht bestätigt, wonach
die Römer, die um 12 n. Chr. sich dieses Land, genannt Gallia Narbonensis,
unterwarfen, daselbst auch Bulgaren vorgefunden haben. Das Gesamtvolk erlebte
den Krieg des Pontischen Königs Mithridates um 100 v. Chr. scheinbar noch
in Armenien. Es stellte dem König eine kleine Hilfstruppe. Bald darauf
muß es aber ausgezogen sein. Der armenische Geschichtsschreiber, Moses
von Chorene, meldet nämlich aus der Zeit um 100 v. Chr. von der
Einwanderung einer vertriebenen Abteilung der Bulgaren nach Armenien.
Möglicherweise war diese nur bei der Auswanderung zurückgeblieben.
Offenbar geschah die Auswanderung unter dem Druck der vordringenden Parther
einerseits und Römer andrerseits. Das Volk ließ sich auf der
Nordseite des Kaukasus nieder. Die letzten Nachzügler scheinen den
Gebirgsrücken erst um 14 n. Chr. überstiegen zu haben. Denn nach
einer Überlieferung hatte das Volk noch mit Kaiser Tiberius zu tun, der
die römische Macht bis an den Hauptgebirgszug heran ausdehnte. Auf der
Nordseite des Kaukasus rückte das Volk bald bis an den Don vor, den der
eine Teil überschritt und nördlich vom Asowschen Meer seine Wohnsitze
nahm. Um die Mitte des 2. Jahrhunderts vollzog sich hier eine Spaltung. Nach
bulgarischer Überlieferung fällt in diese Zeit die Entstehung eines
selbständigen Schwarz-Bulgariens an der Ostseite des Asowschen und
Schwarzen Meeres. Aller Wahrscheinlichkeit nach war diese Spaltung die Folge
der Unterwerfung der Abteilung auf der Westseite des Dons, im Norden des
Asowschen Meeres durch die Goten, die um diese Zeit daselbst angekommen sind.
Und zwar waren es die Wisi-Goten, die sich diese westliche Hälfte des
bulgarischen Volks unterwarfen, von denen es auch den Namen Wisi-Bolgaren, oder
Weiß-Bulgaren erhielt. Bei Abwanderung der Wisi-Goten an den Dnestr
erfolgte wieder eine Spaltung der Weiß-Bulgaren in zwei Hälften. Die
westliche Hälfte, fünf oder sechs Stämme umfassend, zog mit den
Wisi-Goten an die Donau, von wo sie zuletzt nach Bayern kam und hier das
bayrische Volk bildete, das in dem slawischen Völkerverzeichnis noch den
Namen Weißen-Bayern führt. Die östliche Hälfte der
Weiß-Bulgaren, drei oder vier Stämme umfassend, blieb zunächst
am Don zurück, von wo es biem Anzug der Hunen nach Nordosten an die Wolga
und Kama abwanderte und daselbst das Reich der Weiß-Bulgaren
gründete. Das Reich bestand bis 1237, um sich dann, nach Unterwerfung
durch die Tataren, unter den nördlichen Völkern dieses Reichs
aufzulösen. Die östliche Hälfte des Gesamtvolks, die zwischen
dem Kaukasus und Don zurückgeblieben war, hatte sich mit einer Abteilung
des Karenvolks vereinigt, das um das Schwarze Meer herum
saß, dem es auch seinen Namen gab. Daher heißen diese Bulgaren
Kara-Bulgaren = Schwarz-Bulgaren. Mit der Ankunft der Hunen kamen sie unter
deren Herrschaft. Nach dem Sturz der Hunen ziehen auch die Schwarz-Bulgaren ab.
Zurück blieben nur zwei Abteilungen. Die Reste der einen sind heute noch
am Nordhang des Kaukasus im Tal des Tscherek mit der Hauptstadt Balkar zu
finden. Die andere Abteilung schloß sich den Kotraguren an, mit denen sie
Anfang des 6. Jahrhunderts nach dem Westen hin abzog. Das Hauptvolk in
Stärke von vier Stämmen zog an die Donau, wo es um 487 mit den
Ostgoten zusammenstieß, durch die es eine Niederlage erlitt. Es
ließ sich hier östlich von der Theiß nieder, wo es auch von
der bayrischen Überlieferung genannt wird, die sogar den Namen des
Königs anzugeben weiß, der Batho hieß. Seit Ende des 7.
Jahrhunderts dehnt das Volk seine Macht allmählich über den Balkan
hin aus. Ende des 9. Jahrhunderts bricht seine Macht nördlich der Donau
endgültig zusammen. Die Hauptmasse des Volks zieht über die Donau ab.
Zurück bleibt nur der grundbesitzende Adel, der in dem rumänischen
Volkstum aufgeht. Im Balkan-Bulgarien aber verschmilzt das bulgarische Volk mit
den unterworfenen slavischen Stämmen zu einem neuen Volk der slavischen
Bulgaren von heute. —
2.
Vergleichen wir nun das Wesen des alten bulgarischen Volks mit dem der alten
Bayern, so können wir feststellen, daß eine völlige
Übereinstimmung besteht nicht bloß in großen und wesentlichen
Zügen, sondern auch in einzelnen und nebensächlichen.
Das
hervorstechendste Merkmal im Wesen des bulgarischen Volks war seine
Kriegstüchtigkeit. Sie waren kühne Reiter, die sich am wohlsten
fühlten auf ihren kleinen, flinken Pferden. Beim ersten Angriff
überschütteten sie den Feind mit ihren wohlgezielten Pfeilen, um beim
Zusammenprall von der Lanze Gebrauch zu machen. Kam es dann zum Handgemenge, so
griffen sie zum Hammer, Hammerbeil oder Streitkolben, den sie mit
fürchterlicher Wucht zu führen wußten. An Stärke und
Tapferkeit hatten sie nicht ihresgleichen. Dabei mochten die Frauen nicht
hinter den Männern zurückstehen. Sie zogen mit ins Feld, fochten und
fielen an ihrer Seite. Vor dem Kampf wurde strenge Musterung gehalten. Jeder Mangel
an Ausrüstung wurde streng geahndet. Ebenso wurde gegen Feiglinge
vorgegangen. Zwar wird ihnen von den Griechen Unzuverlässigkeit
vorgeworfen. Allein daraus spricht nur der griechische Haß. In die
gewöhnliche Sprache übersetzt, bedeutet das soviel: daß die
Bulgaren ein trotziges und höchst eigensinniges Volk waren, das nach
Willen und Wohlgefallen anderer nicht viel fragte. Im besonderen aber hatten
sie ein gewaltiges Mißtrauen gegen alles Fremde. Sie hielten ihre Grenzen
nach außen hin völlig abgeschlossen. Ein Überschreiten
derselben war mit den größten Hindernissen verbunden. Wer
landesflüchtig wurde, verfiel nicht nur selber der Todesstrafe, sondern
brachte auch seine Angehörigen das Unglück. Der Grenzwächter,
der einen Flüchtling durchließ, mußte es mit seinem Leben
büßen. Über alles Fremde stellte das Volk das Eigne,
Althergebrachte, an dem es mit zäher Hartnäckigkeit festhielt. Im
übrigen war es gutmütig, “ohne Bosheit und Tücke”.
Auch
die alten Bayern waren ein Reitervolk. In den bayrischen Reihengräbern
finden sich Gerippe von Pferden, die jener kleinen Rasse angehörten, von
der schon Cäsar zu rühmen wußte, daß sie anspruchslos und
von außergewöhnlicher Ausdauer sei. Daß die Bayern
ursprünglich ein Reiterheer bildeten, wird durch die Sage von der
Entstehung des Pferdemarktes in München bestätigt. Der Angriff
hunischer Reiter konnte nur durch die leichten bayrischen Reiter abgeschlagen
werden. Die Waffen, die den Toten beigegeben sind, bestehen aus einem kurzen
Schwert mit einer Angel, das, auf einen Stock gesteckt, zugleich als Speer
dienen konnte; aus einer Lanze, die meist als Stoßwaffe auftritt, und aus
einem Hammerbeil. Mit welcher Vorliebe die Bayern noch heute mangels eines
Hammerbeils den Gewehrkolben benutzen, ist bekannt genug. Überhaupt spielte
der Hammer nicht bloß als Kriegswaffe, sondern auch als Friedenswerkzeug
eine besondere Rolle. Der Hammerwurf war das Zeichen des Besitzergreifens von
Grund und Boden. Der Braut wurde der Hammer in den Schoß gelegt. An
Kriegslust übertrafen die Bayern alle andern deutschen Stämme. Man
pflegte zu sagen: in Bayern “rede ein Knecht mehr von Streit, als dreißig
Ritter anderswo”. Feige, Unstreitbare und Gebrechliche wurden in Lachen und
Pfützen ertränkt. Von jeher zeichnete sich das bayrische Volk aus
durch sein zähes Festhalten am eignen, althergebrachten Geistesgut. Es ist
“etwas unfreundlich und eigensinnig, weil es nicht oft hinauskommt, sich gern
daheim hält, wenig Hantierung treibt und fremde Länder ungern
aufsucht”. Am liebsten hielt es sich alles und alle Fremden gänzlich vom
Leib. Es war keine Kleinigkeit, in bayrisches Gebiet hinein- und
hindurchzukommen. Im übrigen bilden “lebensfroher, heiterer Sinn, biedere
Gradheit, Gutmütigkeit und Einfachheit das glückliche Erbe” des
Volkes. “Fremd und verhaßt sind ihm knechtische Unterwürfigkeit,
Vielrednerei, süßliches und schmeichlerisches Wesen.”
Der
alten Bulgaren einziger Reichtum waren ihre Herden. Weshalb denn auch der
Schutz des Viehs einen überaus wichtigen Gegenstand der Gesetzgebung
bildete. Im Leben waren sie höchst einfach und anspruchslos. Ihre Tracht
bestand aus bunten, weiten Kleidern, die von Männern und Frauen in
gleicher Weise getragen wurden. Die Männer trugen langes Haar und langen
Bart, soweit sie dem Stand der Freien angehörten. Die Wohnung war bei den
alten Bulgaren nur notdürftig eingerichtet. Die Männer waren einem
guten Trunk nicht abhold, wenn sie ihn haben konnten. Sie galten für die
stärksten Weintrinker der Welt.
Auch
die Bayern waren ehemals ein Volk von Hirten und Ackerbauern. Ihre Herden schätzten
sie über alles andere. Dafür liefert ihr altes Volksrecht den besten
Beweis. Abgesehen vom alamanischen Volksrecht, berücksichtigt kein anderes
deutsches Volksrecht die Haus- und Jagttiere in gleicher Weise wie das
bayrische. Die Hinneigung des Volks zu dieser Beschäftigung ist nicht
allein in der Bodenbeschaffenheit des Landes begründet, sondern auch in
seiner besonderen Stammeseigenart. Die Lebensweise war sehr einfach. Die
Wohnungen waren mehr Hütten als Häuser. Die Kleidung, die das Volk
trug, war weit und bequem. Die Männer trugen langes Haar und langen Bart.
Im übrigen kennzeichnet Aventin sein bayrisches Volk als “geistig schlecht
und gerecht, das gern auf Kirchfahrten geht und läuft, zu denen es
reichliche Gelegenheit hat. Der gemeine Mann sitzt Tag und Nacht beim Trunk,
schreit, singt, tanzt, kartet, spielt, hält große und
überflüssige Hochzeit, Totenmahl und Kirchtag. Aber er ist ehrlich
und unsträflich, gereicht keinem zum Nachteil, kommt keinem zum
Übel”.
Den
alten Bulgaren war eine starke Sinnlichkeit eigen. Den Surgutschen und Gagausen
wird das noch heute nachgesagt. Zugleich zeichnete sie eine nicht minder
starke, eifrige Frömmigkeit aus. In den Vorstellungen der alten Bulgaren
haben die Feen eine hervorragende Rolle gespielt. Die drei Schicksalsschwestern
— im Rumänischen Ursitele — bestimmten das Schicksal jedes Sterblichen.
Mit Feen hatten die Bulgaren alle Quellen, Flüsse und Wasser
bevölkert, die Spitzen und das Innere der Berge. Noch heute feiert man in
Bulgarien zu Pfingsten das Rusaljafest. Von den Tieren genossen besondere
Verehrung Schlange, Wolf, Pferd und Hund. Namentlich aber die Schlangen, die
den Manschen alles Glück und Unglück bringen, je nachdem sie ihm gut
oder böse gesonnen waren. Die rumänischen Volksmärchen kennen ein
ganzes Schlangenreich, das von einem Schlangenkönig beherrscht wird.
Außerdem kennen sie aber auch böse Schlangen mit ungeheuren
Körpern und mehreren Köpfen. Dem Wolf sind in Bulgarien und
Rumänien besondere Tage im Jahr geweiht. In Bulgarien heißen sie die
Wolfsfeiertage und dauern vom 10. Bis 17. November. An diesen Tagen ruht alle
Arbeit. Und es werden alle möglichen Zaubereien getrieben, um den
Wölfen Augen, Ohren und Nase zu verschließen. Einer großen
Verehrung erfreute sich das Pferd. Ein Pferdeschweif diente als Feldzeichen.
Aber auch zum Schutz von Haus und Hof und Feld gegen böse Geister und
Menschen wurden auf Zäunen und Pfählen Pferdeschädel
aufgesteckt. Wenn ein Eid geleistet wurde, so geschah es das aufs blanke
Schwert, wobei ein Hund zerhauen wurde. Zum Schluß wurde ein Trunk dazu
getan. In Rumänien kennt man Erdhündchen, die in der Tiefe der Erde
wohnen und deren Bellen Mord und unseligen Tod bedeutet.
Von
heidnisch-frommen Bräuchen besteht in Rumänien noch heute der
Schwerttanz, der zu gewissen Zeiten von auserwählten Tänzern
aufgeführt wird. In der Nacht vor Maria Verkündigung werden in
Bulgarien Umzüge veranstaltet zum Schutz des Viehs vor bösen
Geistern. Es wird mit Löffeln geschlagen, mit Ketten gerasselt, das Vieh
geräuchert. Zur Abwehr von Viehseuchen wird alles Feuer auf dem Herd
gelöscht, um ein neues, heiliges Feuer anzuzünden, an dem dann auch
das Feuer auf dem Herd entzündet wird. Am Abend des Johannistags werden
überall in Bulgarien Feuer angezündet, durch das Jung und Alt hindurchspringt.
Mit dieser Feuerverehrung hängt auch die Leichenverbrennung zusammen, die
bei den alten Bulgaren noch üblich war. Daneben war aber auch die
Bestattung in Grabhügeln im Gebrauch.
Auch
den Bayern wird eine starke Sinnlichkeit nachgesagt. Auch sie zeichnen sich
durch eine starke Frömmigkeit aus. Genauere Nachrichten über den
Götterglauben der alten Bayern haben sich nicht erhalten. Immerhin gibt’s
eine Menge von Sagen, aus denen sich schon einiges entnehmen läßt.
Auch bei ihnen spielen die Feen eine hervorragende Rolle in der Geisterwelt.
Sie sind überall zu finden, in Flüssen, Seen, Quellen, in Hainen und
auf Bergen. Auch die drei Schicksalsschwestern sind in Bayern bekannt, die das
Schicksal der Neugeborenen bestimmen. Von den Tieren sind es auch hier wieder
Schlange, Wolf, Pferd und Hund, die am meisten wertgehalten und verehrt wurden.
Die bayrischen Sagen setzen der Schlange eine Krone auf. Diese Krone bringt den
Menschen Reichtum und Glück. Der Wolf ist ein Geister- und Zaubertier, das
ebenfalls dem Menschen Glück bringt. Als Werwolf ist er freilich eine
Plage für ihn. Sehr bezeichnend ist, daß das älteste bayrische
Heiligtum, Oetting, einen Wolf im Wappen führt. Das Pferd war ein
Opfertier. Pferdeköpfe wurden auf Stangen gesteckt und im Hof und auf dem
Feld aufgestellt zum Zeichen des Opfers, sowie zur Abwehr der bösen
Geister. Der Hund erscheint als Hüter verborgener Schätze. Die
merkwürdige Sitte, beim Eid Hunde zu zerhauen, wird nicht erwähnt,wie
auch nicht in den Berichten über die Weiß-Bulgaren. Aber der Eid
wurde auch bei ihnen auf das blanke Schwert geleistet.
Von
den Festlichkeiten ist das verbreiteste in Bayern und Österreich das
Sonnwendfeuer, das am Johannistag auf allen Bergen und Höhen auflodert. Um
die Feuer entwickelt sich dann allemal ein fröhliches Treiben, an dem Alt
und Jung teilnehmen. Wer nur kann, macht den Spurng durchs Feuer mit. Es werden
Brände daraus entnommen und auf die Felder gebracht, um diese vor Hagel
und Unwetter zu schützen. Am Karsamstag wird alles Feuer auf dem Herd
gelöscht, um es dann an dem geweihten Osterfeuer wieder anzuzünden.
Auch die Sitte der Leichenverbrennung war ehedem in Bayern in Übung. Zur
Zeit der Aufzeichnung des bayrischen Volksrechts war sie jedoch unter dem
Einfluß der Kirche durch die Leichenbestattung in Grabhügeln bereits
verdrängt.
Diese
Ähnlichkeit läßt sich bis in Einzelheiten hinein verfolgen. Zum
Beleg sei nur ein Beispiel herauszugreifen. In Bulgarien und Rumänien
besteht folgende Sitte. Zur Zeit großer Trockenheit versammeln sich die
Mädchen im Alter von 7 bis 12 Jahren zu einer besonderen Feier. Sie
wählen eine unter sich aus, machen sie zur “peperuga” (= Schmetterling)
zurecht, indem sie sie in Laub, Pflanzen und Blumen hüllen, setzen ihr ein
kupfernes Gefäß auf den Kopf und ziehen mit ihr vor die Häuser
und singen und tanzen. Die Einwohner gießen aus den Fenstern Wasser auf
die “peperuga” und schenken ihnen Mehl und Fett. Daraus backen die Mädchen
einen Kuchen, ziehen an den Bach, steigen ins Wasser und verzehren ihn so.
Dieser
Wasserjungfer entspricht in Bayern der “Wasservogel”. In Neuhausen bei
München hat er den Namen “sandrigl”, woraus der Name “Hansl und Gretl”
entstand. Immer hängt er mit dem Schutz vor Mißernte zusammen. Der
Umzug geschieht hier zu Pferd. Der “Pfingst- oder Wasservogel”, oder “Hansl und
Gretl”, ein junger Bursche, oder einfach eine zurechtgemachte Puppe, wird ganz
in Laub und Blumen gehüllt, im Dorf herumgeführt, wobei er hier und
da aus den Fenstern mit Wasser begossen wird. Die Teilnehmer erhalten Mehl, Butter,
Eier, Brot, das sie gemeinsam verzehren. Zum Schluß wird der Wasservogel
ins Wasser geworfen. Die Ähnlichkeit des Brauchs in sienen Einzelheiten da
und dort springt von selbst in die Augen.
Die
gleiche volle Übereinstimmung besteht auch in der Staats- und
Rechtsverfassung der beiden Völker. Der Chan oder Zar und der Herzog haben
genau die gleiche Machtstellung. Wenigstens das spätere Zarengeschlecht
führte sogar das gleiche Wappen wie die bayrischen Herzöge: die
beiden Löven. Genau die gleiche Stellung hatten auch Adel und Freie bei
Bulgaren und Bayern. Und was ganz besonders kennzeichnend ist, auch die
Rechtspflege spielte sich da und dort genau in gleichen Formen ab. Die
Hauptperson war da und dort der Richter, der die Verhandlung führte, die Sachlage
prüfte, die Zeugen verhörte und das Urteil sprach. Außerdem
nahmen an der Gerichtsverhandlung in Bulgarien und Rumänien noch die
“guten, alten Leute” als Beisitzer teil, in Bayern die “frumme Leut” oder
“Biederleut”. Das Urteil stand ihnen jedoch weder da noch dort zu. Dieses
sprach allein der Richter, der auch gerichtsherrliche Gerechtsame erhielt. Das
Hauptbeweismittel war der Eid. Wo der Eid des Angeklagten nicht genügte,
hatte er Eideshelfer zu stellen, deren Zahl unter Umständen bis auf 60 und
mehr steigen konnte. In bestimmten Fällen konnten nur Markgenossen als
Eideshelfer zugelassen werden. Beschworen wurde nicht die Tatsache selber,
sondern die Glaubwürdigkeit des Hauptschwörers. Wo eine Streitsache
überhaupt nicht zu entscheiden war, nahm man zum Gottesurteil, als letzten
Mittel, seine Zuflucht. Das beliebteste davon war der Zweikampf, zu dem auch
Frauen zugelassen waren.
Die
Übereinstimmung zwischen dem bulgarischen und alemannisch-bayrischen Recht
ist eine durchgehende, eine Übereinstimmung, die bis ins einzelne geht.
Das sind schon keine Ähnlichkeiten, Anlehnungen mehr, sondern eine
Gleichheit der beiden Volksrechte.
3.
Schließlich zeigt sich die ehemalige Volksgemeinschaft auch in der
Sprache. Das alte Bulgarisch war eine Sprache der turanischen Familie, der auch
das Türkisch angehört. Sein Einfluß auf die Gestaltung des
heutigen Slavisch-Bulgarischen tritt in Lautbestand, Wortformen, Satzbau und
Wortschatz stark hervor, so wenig dies auch die Zweihundertprozentslaven unter
den Bulgaren haben möchten. In dem Maße hat sich der Einfluß
des ehemaligen Alemannisch-Bayrischen auf das heutige Deutsch-Bayrische nicht
zur Geltung bringen können. Dazu war der altbayrische Bestandteil an dem
Gesamtstamm der Bayern von heute nicht stark genug. Immerhin zeigt auch die
bayrische Mundart von heute in Lautbestand, Wortformen und Wortschatz tiefe
Spuren des alten Alemannisch-Bayrischen. In Schnellers bayrischem
Wörterbuch findet sich eine Menge echt bayrischen Sprachguts, dem mit
keinem Deutsch und keinem, sogenannten Germanisch beizukommen ist. Als
Beispiele seien hier nur einige Ausdrücke angeführt aus dem alten
alemannisch-bayrischen Volksrecht, deren Sinn sich von selbst ergibt, wenn man
die entsprechenden Ausdrücke in dem ganz ausgezeichneten bulgarisch-deutschen
Wörterbuch von Weigand-Doritsch nachschlägt.
Der
Bauer heißt im alemannisch-bayrischen Volksrecht purica. Im Bulgarischen
ist pur’ak ein grober Mensch. Drappa ist die Kleidung. Im Bulgarischen ist
dripa Zeug, Lappen. Das Kleid heißt rauba. Im Bulgarischen heißt es
ruba oder rufet. Die Freibeuterei heißt scahraup. Genauer heißt es
Straßenraub; sokak = Straße und repam = rupfen, raufen. Harisliz
ist ein Verbrechen, das gleich dem Landesverrat mit dem Tod bestraft wird. Im
Bulgarischen ist char oder charsyz-in der Bösewicht, Schurke. Davon ist
hier charyslyk abgeleitet, das den Verband von Bösewichtern, deren
Treiben, also Unruhen, Aufruhr bezeichnet. Carmula ist die Auflehnung einzelner
gegen den Herzog. Kramola heißt das gleiche Verbrechen im Bulgarischen.
Das Wort ist kein slavisches. Es ist nur noch bei den Russen und den ehemaligen
Karantanen zu finden, wo es aber auch aus dem Turanischen stammt. Pulislac
kommt von pul = Knopf, Knauf, Keule und schlak-am = schlagen, klatschen und
bedeutet den Schlag mit der Keule. Pelcprest kommt von pelka = die Doppelaxt,
Streitaxt und prask-am oder prascht’-a = krachen, bersten und bedeutet eine
Wunde, die mit der Streitaxt beigebracht ist. Teudragil ist eine Verletzung des
Beines, die zum Nachschleppen des Fußes führt. Das Wort erklärt
sich aus dem bulgarischen tytraz-a = schleppen, ziehen und il = Gang, das in
el-a = geh, komm, jall-a = wohlan, ul-ak = Eilbote vorliegt. Stapsaken ist eine
Art, das Gottesurteil im Gericht anzurufen. Stap ist im Bulgarischen der Stock,
die Keule und sak-am heißt fordern: eine Forderung auf Keulen. Die andere
Art des Zweikampfes ist campfwic. Kama ist der Dolch, das Messer und wik ist
der Ruf, Schrei: Forderung auf Messer. Wehadinc ist der Vertrag, der dem
Zweikampf vorausgeht, von wik = Forderung und denk = Packen, Bund,
Bündnis, Vertrag. Mahalechinga ist der Gerichtsplatz: von mahala = Viertel
einer Stadt, eines Dorfs, Ort, Platz und chak = Gerechtigkeit, Recht. Kitribin
kommt von kotora-bina = Stall-Gebäude, Hürde. Auf unbefugtes Überschreiten
der Landesgrenzen stand als Strafe ein Jahr Gefängnis. Habias heißt
dabei das Gefängnis. Habys heißt es im Bulgarischen. Diese Beispiele
genügen, um den Zusammenhang zwischen dem Alemannischen-Bayrischen und dem
Turanisch-Bulgarischen zu veranschaulichen.
So
zeigt sich die ehemalige Zusammengehörigkeit der beiden Völker in
allem: in Geschichte, Staats- und Rechtsverfassung, Wappen und Namen, in Art
und Wesen, Glaubensvorstellungen und Lebensgewohnheiten, Sitten,
Gebräuchen und Sprache.
Wenn
aber bayrischer und bulgarischer Volksstolz gegen die Tatsache der turanischen
Herkunft sich auflehnen will, so können sich beide Völker immer noch
trösten. Die heutigen Völker Europas sind das Ergebnis einer Mischung
der verschiedensten Herkunft. Eben dieser bunten Mischung haben diese
Völker ihre starke Lebenskraft zu verdanken. Reinrassige Völker in
dem Sinn, wie die “Zweihundertprozent-Slaven und -Germanen” wollen, gibt es
nicht und kann es nicht geben, weil es keine Idiotenvölker geben kann. Den
stärksten Anteil an der europäischen Völkermischung haben gerade
die turanischen Völker, von denen das alemannische Volk, dem Bayern und
Bulgaren angehörten, das größte und stolzeste war, hinter dem
das germanische, das zur gleichen Völkerfamilie gehörte, an Bedeutung
weit zurückstand, wie die bayrische Überlieferung noch zu künden
weiß.
Dulo
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Russe
Bulgarien
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